top of page

Umnachtet

Nachfolgende Erzählung stammt von einer langjährig Inhaftierten. Sie fürchtet sich vor der Realität des geschriebenen Wortes, noch mehr aber vor Weihnachten und der Erinnerung.

Umnachtet

Die Nächte sind jetzt klar. Mehrere Wochen hatten wir starke Regenfälle. Es hat nur genieselt, den ganzen Tag über und früh am Morgen wird dann dichter Nebel in den Bäumen und auf den Dächern des Frauengefängnisses Langata hängen. Lange bevor die Geräusche des Schlüssels durch die Eisentüre dringen werde ich an der Zellentüre stehen, um einen schnellen Blick zum Himmel zu bekommen.

Sie tröstet mich irgendwie, in der Nacht – die Vorstellung von Himmel, Mond und Sterne. Ich liebte das Wandern in der Nacht. Der gelbe Regenmantel, den ich hatte, hielt den Regen von mir fern, zusammen mit dem ebenfalls gelben Hut mit dieser Verlängerungen über meinen Nacken hinaus. Es war ein Geschenk von, ich weiss es nicht mehr. Die Stiefel waren nicht gelb - seltsam, ich erinnere mich nicht an die Farbe meiner Stiefel, grau, glaube ich, oder war es blau?

Bei starkem Regen durch die Nacht zu gehen, machte mich glücklich. Komisch, irgendwie glaube ich das immer noch. Aber zu wissen, dass der Regen mich nicht berühren konnte, da Regenmantel, Hut und Stiefel mir dieses gemütliche, behagliche Gefühl eingaben - das Gefühl des Weggehens, weg von der Strasse die mich ins Auge des Orkans bringen würde.

Ich war täglich draussen und genoss das Geräusch des fallenden Regens, das Quitschen meiner Stiefel und beeilte mich immer dem Sturms zu entkommen. Ich forcierte meine Schritte um dennoch unter dem explodierenden Himmel die Donnerblitze zu sehen, empfand diese Angst, leichte Panik sogar, wenn der Donner endlich über mich hinwegrollte, intensiv, kraftvoll, allmächtig.

John entschloss sich mich zu begleiten - einmal nur. Wir hatten gerade das, was er als erotische Stunde bezeichnete. Nicht dass ich jeweils die Anzeige des Weckers auf dem Nachttisch im Auge behalten habe, mein Zeitgefühl war und ist immer noch sehr gut. Er rollte sich meistens lange vor Ablauf seiner Stunde zur Seite.

Im Gefängnis haben wir keine Betten, nicht einmal Matratzen, wir schlafen auf dem Boden, zumindest war es so die ersten paar Jahre. Es ist nicht das Schlimmste. Ich gewöhnte mich schnell daran. Aber zu wissen, dass ich auf dem Boden schlafen musste, bringt mich zurück zum Wunsch des Weggehens.

Im Bett oder auf dem Boden wach zu sein ist ungefähr das Gleiche. Nach einer Weile allein mit ihm im Bett, sagte ich.

"Ich gehe spazieren."

Normalerweise musste ich mich nicht um Geräusche kümmern. John schlief schon.

Bis auf das eine Mal.

"Ich werde mich dir anschließen!"

Sagte er und machte den Eindruck, völlig wach zu sein. Es dauerte einen Moment, um mich anzupassen.

"Komm schon mein Mädchen, lass uns gehen!"

Er sprang tatsächlich aus dem Bett. Ich saß dort in der Leere, konnte die Tatsache nicht glauben, hoffte jedoch auf etwas Süßes.

"Es könnte regnen, John!"

Warnte ich, während mir die gelbe Gewohnheit Zuversicht einflösste.

"Nein, wird es nicht."

Laute Worte von ausserhalb.

‘Ihr zwei seid verrückt! Ausserirdische!‘

Mein alter Hund auf der Verandah sagte dies wirklich. Er begleitete mich oft und ich dachte schon, wäre doch nett, wir drei, fast wie eine Familie. Aber Grumpy entschied sich für seinen Frieden und legte sich wieder hin.

John bringt in etwa 120 kg auf die Waage und weiß nicht, wie ein Fitnessstudio von innen aussieht - ich musste meinen Vorwärtsdrang bändigen. Gut für ihn ist, das unser Haus auf Flachland gebaut ist, kein Hügel und kein Berg in der Nähe.

Wir gehen, wir reden nicht.

Grumpy weiss Bescheid. Wir sind nicht normal.

"John, lass uns reden."

Es war eine unkontrollierte Eingabe, ich legte meine Arme um seine Hüfte und hielt meinen Kopf in Erwartung eines Kusses.

„Hier draußen in der dunkelsten Nacht. Bist du verrückt?"

Anstatt seinen Kopf zu senken, schaut er zum Himmel.

Die ersten Regentropfen fallen.

"Lass uns zurück gehen!"

Er griff nach hinten und befreite sich von meiner Umarmung.

Ich kann ihn sehen, wie er seine Füße in den Boden stampfte und im Dunkel verschwand.

bottom of page