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Gedanken suchen


Seit nunmehr geraumer Zeit beobachte ich die Gesichter von gefangenen Frauen. Es sind dies veränderliche Mienen, die oft die Bürden der Gegenwart zum Ausdruck bringen. Auf dem Parkplatz des Gefängnisses warte ich einml mehr auf die in Grau oder Blau-weis gekleideten Frauen. Begleitet von einem Wächter kommen sie die Straße runter und erscheinen in ihrem Gebaren nicht unglücklich, sie benehmen sich wie Fabrikarbeiterinnen auf dem Weg zur Kantine. Sie plaudern und lachen in Erwartung der Kaffeepause. Hände haltend oder einen Arm auf die Schultern einer Mitinsassin gelegt nähern sie sich dem Parkplatz. Ich mache mich bereit, nehme meinen Rucksack auf und begleite sie begrüßend zum Schulungsraum.

Wie in jeder Schule auf der ganzen Welt beginnt der Unterricht mit dem Einnehmen der Plätze, während der Diskussionsstoff die Farbe wechselt. Es wird nun eher über den Lehrstoff gesprochen, ich kann die Änderung auch in ihren Gesichtern sehen. Der Ernst des Lebens, in ihrem Fall das Dasein des Gefangenseins, die Ungewissheit, aber auch der Hoffnung. Ungewissheit im Sinne von des zu erwartenden Unterrichtsstoffes, mehr jedoch ob darin die Hoffnung, verknöpft mit den Worten ‚Out of jail free card‘ enthalten sein wird.

Vor einiger Zeit benutzte ich diese Redewendung im Zusammenhang mit Kunst, insbesondere diejenige der Papiergedanken. Ich versuchte zu erklären, dass sich eine Gefangene, die einen Bestseller nach dem andern schreibt, bestimmte Privilegien auf Begnadigung erhoffen könnte. Man verstand meine Absicht augenblicklich und diesbezügliche Fragen änderten bald auch die Gesichtszüge.

Trotzdem sehe ich ab und zu das Abschalten eines Gesichtes. Ich benenne dies so, weil es echt einer Abtrennung von der unmittelbaren Umgebung gleich kommt. Das Gesicht einer Frau gefriert und als Folge davon scheinen auch alle Muskeln zu streiken. Bewegung wird unmöglich, die Augen starren auf einen Punkt und ihre Lider bleiben oben. Ich kann es buchstäblich spüren, eine solche Frau hat sich mental paralysiert. Dergleichen geschieht uns allen, im Prison allerdings viel öfters, verständlich wenn man die Bedeutung des Wortes Lebenslänglich mit einbezieht.

Oft dauert es lange bis sie wieder in den Schulungsraum zurück finden und ich erkenne jedes Mal, dass nicht eine Begebenheit im Raum dafür zuständig ist, dafür aber ihre eigene Dringlichkeit; ihr Unterbewusstsein drängt sie weg von den kreisenden Gedanken.

 
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