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Ein Radiergummi

Täglich werden wir in den Medien mit Informationen über die Pandemie konfrontiert. Heute erreicht uns, nach langer Pause, ein Bericht unseres Projekt Managers in Nairobi, worin eigentlich Covid19 die Hauptrolle spielt.


Baronin Karen von Blixen-Finecke bemerkte einst eindringlich: I had a farm in Africa at the foot of the Ngong Hills. Ganz in der Nähe vom Langata Women Gefängnis in Karen, ein Außenbezirk von Nairobi auf dem Weg zu den Ngong Hills, liegt auch ihr Haus, das heutige Karen Blixen Museum und im Film Out of Africa kommt das Ende der Hoffnung der Baronin zum Ausdruck nachdem sie die Farm aufgeben und nach Dänemark zurückkehren musste.


Seit über einem Jahr war es mir auf Grund der Pandemie versagt in die Nähe der Gefangenen zu kommen. Während der ganzen Zeit bemühte ich mich Telefongespräche mit Familienangehörigen im Ausland zu vermitteln oder kleine Geldsummen von Verwandten und Bekannten den Insassen zu überbringen, auch Schreibmaterial und Kleinigkeiten wie Seife. Ich musste immer alles am Eingang hinterlegen.

Heute hatte ich zusätzlich noch ein Fernseher für einen Zellentrakt im Untersuchungsgefängnis mit im Gepäck und man erlaubte mir einzutreten. Ein Warden schleuste mich durch und auf meinem Weg zur Bibliothek explodierte die verloren gegangene Hoffnung. Ich hörte meinen Namen, geschrien, jauchzend, weinend, Alice stand verloren am Wegrand, erstarrt mit offenem Mund. Vor der Pandemie schrieb sie einige ansprechende Liedertexte und wusste schon recht gut die Saiten der Gitarre zu zupfen.

Karen Blixen schrieb in ihrem Buch:


Wenn du eine große und schwierige Aufgabe hast, etwas, das vielleicht fast unmöglich ist, behandle nur ein wenig auf einmal davon, jeden Tag ein wenig, dann endet die Arbeit plötzlich von selbst.

Eine Volksweisheit - jedermann bekannt. Karen Blixen aber war auch eine Gefangene, eine Gefangene ihrer selbst, sie bewegte sich langsam Stück für Stück aus der Hoffnung ins Erkennen des Versagens.

Ähnliches erlebte ich heute. Ich hätte gerne mit ihnen gesprochen, sie umarmt, ihnen erklärt, dass Versagen niemals eine Option sein darf.

Das bringt mich einmal mehr zur Frage:

Warum Verbrecherinnen beratend unterstützen?


Letzte Woche traf ich mich mit Jane-Lucy, einer Entlassenen. Bei Kuchen und Tee durfte ich folgendes erfahren - sie kocht früh des Morgens aus fünf verschiedenen Getreidesorten Porridge und verkauft diese zusammen mit Snacks. Allemal ein gutes Geschäft, besonders jetzt während der kalten Zeit. Sie spart, um ihre Söhne auf die Universität schicken zu können.


Die Großzahl im Gefängnis sind keine Verbrecher, das harte Leben führte sie an den ominösen Punkt der Wahrheit, so auch Jane-Lucy, sie stolperte über die Verführung Mehr zu besitzen und büßte zehn lange Jahre. Ich fragte sie, wie denn der Musikunterricht oder das Creative Writing hilfreich war, um die Zusammenhänge von Falsch und Richtig zu verstehen. Sie meinte: Nicht das Musizieren oder das Schreiben im Knast war massgebend, die kleinen Dinge die bei diesem Tun vorkommen machen es aus. Ich mag es nicht, wenn ich etwas auf einem Blatt Papier durchstreichen muss. Du hast mir ganz am Anfang ein Radiergummi und Bleistifte gebracht. Jedesmal wenn ich dann ein Wort falsch geschrieben habe und es ausradieren konnte, fühlte ich das Gute, spürte wie das Zwischenmenschliche sein sollte.


Ein Radiergummi nur.

Seit über einem Jahr nun fehlt das Zwischenmenschliche im Gefängnis. Die Pandemie isoliert die Frauen von der Außenwelt.

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